Donnerstag, 1. Dezember 2011

Von Erlebnissen & Erkenntnissen...

Übernachten bei „unseren Kindern“

50 Mädchen leben in Marnamikatta, an den Bahngleisen Mangalores, in der „Fit Institution for Girls“. Für 53 Menschen sind die 6 Zimmer in unseren Augen doch etwas zu klein. Trotzdem scheinen die Kinder sich wohl zu fühlen- sie kennen es ja auch nicht anders.
Am Abend des 12. Novembers kommen noch einmal 40 Kinder aus dem Foster-Home hinzu. Die Kinder sind aufgeregt, denn morgen wird für sie der Children’s Day ausgerichtet, aber nicht von irgendwem, sondern von Infosys, der größten indischen Softwarefirma.

Inmitten der 90 Kinder sitzen Lea und ich und sind ein bisschen überwältigt von der Masse Mensch, aber es ist auch schön zu sehen, wie die Kinder sich freuen sich wiederzusehen und wie unsere Mädchen 20 mal „Here weg o with the big fat pony“, oder „Clowny“ spielen wollen, nur um den anderen zu zeigen, was für fabelhafte Spiele sie spielen.


Wir übernachten zum ersten Mal im Children’s Home, zum Entsetzen einiger PRAJNA Mitarbeiten („You can’t sleep there! They have no beds, you know?“).

Die meisten Kinder gehen früh ins Bett, aber 6 von ihnen sitzen mit uns in einem winzigen Raum.
Wir pusten Seifenblasen und packen die Ahoi-Brause aus und die Mädchen und wir sind wie los gelöst von unserem Alltag. Wir lachen und albern herum, es fühlt sich an, als würde man einen Abend mit Freunden verbringen. Neue Mehendis dürfen natürlich auch nicht fehlen an diesem Abend! Und nachdem wir noch einen Kannada-Song gelernt haben und unendlich viele Siefenblasen zerstört haben und so viel gelacht haben wie schon lange nicht mehr schlafen wir auf unserer Bast-Matte ein.



Nach einer kurzen, aber erstaunlich erholsamen Nacht stehen wir um 5.30 auf- keines der Kinder schläft um diese Zeit mehr- und machen uns fertig für unsere „Reise“ zu infosys. Natürlich werden wir von den Mädchen erst mal frisiert und gepudert, uns werden Ohrringe geliehen und Bindis ins Gesicht gezaubert.




Children’s day at Infosys

Die Mädchen sehen wunderschön glitzernd aus, alle in ihren „fancy-color-dresses“ und so machen wir uns auf in einem Bus, der theoretisch wahrscheinlich für halb so viele Menschen gedacht war.
Bei Infosys muss unser Bus erst mal durch ein riesiges Tor und dann fahren wir nochmal 5 Minuten durch das riesige Gelände. Merkwürdig ordentlich ist es hier, mit Gehwegen und geteerten Straßen und gemähtem Gras.

Der Children’s Day findet in der Mensa von Infosys statt. 2000 Kinder wurden dazu eingeladen- ¾ von ihnen sind Kinder von PRAJNA Projekten. Nach einem typisch indischen Frühstück, werden die Kinder ihren Altersgruppen nach geordnet und nehmen in endlosen Reihen vor der Bühne Platz. 200 Infosys-Mitarbeiter helfen an diesem Tag freiwillig mit und kümmern sich um die Kinder.


Nach der indischen Eröffnungszeremonie findet erst ein Gesangswettbewerb statt, an dem auch unsere Kinder teilnehmen sollten. Was wir jedoch nicht wussten war, dass jedes Hostel nur 2 Lieder vortragen darf und höchstens 8 Kinder auf die Bühne dürfen und, dass der Wettbewerb nur für Lieder auf Kannada gedacht ist. Da diese Informationen uns fehlten, hatten wir 3 Lieder auf Englisch mit zum Teil wesentlich mehr als 8 Kindern einstudiert…

Nach langem hin und her und blank liegenden Nerven dürfen unsere Mädchen dann doch singen und wir sing von Stolz erfüllt, als „I am sailing“ und „The lion sleeps tonight“ durch die große Halle tönen.


Auf den Gesangswettbewerb folgt- nach dem herrlichen Essen- ein Tanzwettbewerb, bei dem Lea und Ich „judges“ sind. Irgendwie hat man das Gefühl, jedes indische Kind hat Musik im Blut und man könnte stundenlang einfach nur da sitzen und die bunten Kostüme, die strahlenden Gesichter, die Tanzschritte und die Musik bestaunen.

Dem Tanzwettbewerb folgen Spiele- in der ganzen Halle sind Stände aufgebaut, wo die Kinder Dosenwerfen, Dart , „Doktor Bibber“ und endlose weitere Spiele spielen können. Die ganze Veranstaltung ist mehr oder weniger unindisch...zwar sind die Menschen Inder, aber alles andere ist doch sehr amerikanisch.

Wir fragen uns, wie es für die Kinder wohl ist, aus einer Welt zu kommen, in der sie nichts besitzen und dann für einen Tag in diesen Überschuss gefahren zu werden...Toiletten aus Marmor, auf Hochglanz polierte Räume, westlich aussehende Inder in Jeans und T-Shirt...
Ob sie so noch mehr wahrnehmen, dass sie nicht haben, oder ob sie es schön finden, diesen Reichtum zu sehen? Vielleicht reflektieren sie es gar nicht, aber manche von ihnen mögen an diesem Tag mit ihrem Leben gehadert haben.

Zum Schluss gibt es noch eine große Preisverleihung und die Mädchen, die den Tanzwettbewerb gewonnen haben kommen voller Begeisterung auf uns zu und bedanken sich strahlend.

Das Schrei-Konzert im Bus überleben wir dann auch und nachdem wir noch 4 Dankesbriefe an Infosys geschrieben haben sind wir völlig dankbar im Zug in Richtung Coimbatore sitzen zu dürfen und vergleichsweise Stille um uns zu haben.

Midtermworkshop im KKID- Wiedersehen unserer geliebten Mit-Freiwilligen

Morgens um 6.30 erreichen wir Coimbatore. Im KKID angelangt ist nicht viel Zeit zu verschnaufen, denn wir wollen ja unsere ganzen Freunde, an die wir in den vergangenen Monaten so oft gedacht haben, wiedersehen!

Erst mal sehen wir allerdings „nur“ Freiwillige anderer Organisationen die ebenfalls zum Workshop eingeladen wurden. Das ist zwar nett, aber wir brennen doch darauf, die KKS-Freiwilligen zu sehen und kaum haben wir sie getroffen, wir geredet geredet geredet. Es tut gut, sich mit Menschen austauschen zu können, die ähnliches erleben und die einen verstehen.

Das Programm im KKID wird somit eher zur Nebensache, denn das wichtigste ist wohl für uns alle uns auszutauschen über all das, was wir bis jetzt gesehen haben- Erschreckendes, Schönes, Wunderliches und allerhand Merkwürdiges. Selten haben wir Menschen eigentlich so wenig gekannt und trotzdem so eine tiefe Verbundenheit zu ihnen gespürt.

Es ist auch interessant von den Freiwilligen der anderen Organisationen zu hören, deren weltwärts-Einsatz so völlig anders ist als der unsere.

Gemeinsam besuchen wir, wie auch schon beim ersten Seminar, ein kleines Dorf in dem Bergen und haben eine „Interaktion“ mit den Dorfbewohnern, machen Mittagspause unter einen riesigen Baum und wir „Städter“ genießen es mal wieder Ruhe und Natur um uns zu haben.


Die Tage sind geprägt von Austausch und fliegen nur so dahin. Das erste Mal, richtig Durchatmen und reflektieren nach 2 Monaten…uns fällt auf, dass wir uns in den vergangenen Wochen doch ein bisschen übernommen haben und auch wenn wir es sehr genossen haben zu endlosen Hochzeiten und Feiern zu gehen und Zeit mit den Kindern zu verbringen, Englisch-Nachhilfe zu geben, Flyer zu erstellen, Briefe zu schrieben und zu korrigieren, so war es doch ein bisschen viel.

Mit dieser Erkenntnis fahren wir zurück nach Mangalore wo wir versuchen wollen, unsere Wochen im chaotischen Indien ein bisschen mehr zu strukturieren und uns bewusst mehr Zeit zu nehmen um zu reflektieren.
…wir sind gespannt wie uns das gelingt…

Wir senden euch Wärme ins kalte Deutschland!


Octavia