Freitag, 11. November 2011

Eindrücke über Eindrücke!

Wir begleiteten die Sozialarbeiterinnen der Selbsthilfegruppen nach Karwar. Nach einer zehnstündigen Busfahrt dauerte das Treffen am Zielort schließlich etwa zwei Stunden. Doch der Tag war großartig, die Fahrt durch den Dschungel ein Erlebnis!

Wir haben Affen, Reisfelder und urige Dörfer gesehen. Wir tanzten mit den Frauen zu „Hare Krishna Hare Ram“ in dem Mittelgang des schaukelnden Busses, bei jedem Schlagloch brachen wir lachend zusammen, die Sitzenden klatschen. Die Inderinnen summten indische Lieder und wir hörten ihnen gerne dabei zu. Um sechs Uhr hielten wir plötzlich, die Sonne ging gerade auf. Schnell stiegen wir aus dem Bus aus und standen vor einem riesigen Tempel am Strand Murudeshwars. Es ertönte der Gong zur Pooja, Divya nahm unsere Hand, lachte uns ins Gesicht und deutet uns an dass wir ihr folgen sollten.


Wir liefen durch den Eingang, an den steinernen Elefanten vorbei und rannten die Treppenstufen hinauf. Die Statue Shivas thront auf dem Hügel, plötzlich nahmen wir sie wahr. Unwirklich erschien uns die gewaltige Gestalt des Gottes, wir staunten, waren tief fasziniert, von der Größe der Statue geblendet. Starrten gebannt auf den Gott im Lotussitz. Der Augenblick dauerte nicht lange, die Inderin betete hektisch, wir liefen den Hügel hinunter, am Fuße des Hügels ruhte Nandi, das Reittier Shivas. Wir rannten zum Strand, sahen den Inderinnen zu wie sie mit ihren bunten Gewändern in den reißenden Wellen standen.

Wir haben begonnen im Short Stay Home zu arbeiten, bis zu drei Jahren können misshandelte Frauen hier leben. Das Short Stay Home ist leer und trist, die Frauen sitzen auf dem Boden, starren an die Wand und schweigen. Ab und zu schreit ein Kind. Sie sprechen bloß Kannada, verständigen können wir uns kaum mit ihnen. Die Frauen sind völlig leer, die wenigsten von ihnen können einfache Blumen zeichnen. Der Arm der einen Frau ist verbrannt, sie kann ihren Saree nicht richtig tragen, der Stoff würde wohl mit der sich zurück bildenden Haut verwachsen.
Wir werden mit den Frauen einmal die Woche basteln, damit sie sich etwas beschäftigen können. Wir haben Karten mit ihnen bestickt. Traurig und erschrocken realisierten wir am späteren Abend wo wir den Tag über gewesen sind und brauchten lange um uns über das Gesehene bewusst zu werden. Hilda erzählte uns die Geschichten einiger Frauen, erzählte uns, dass viele Frauen das Haus nicht verlassen dürfen. Wir sind schockiert, schwer fällt es uns all die Schicksale zu begreifen. Gleichzeitig möchten wir mehr über die Frauen erfahren, das Short Stay Home kennen und verstehen lernen. Die Gespräche mit Hilda sind sehr emotional, wir können mit ihr diskutieren und gemeinsam weinen. Zusammen lachen können wir ohnehin sehr viel.
Auch ihre eigene Lebensgeschichte hat sie uns erzählt. Hilda stammt selbst aus sehr armen Verhältnissen, ihre Eltern und sie selbst wurden lange Zeit diskriminiert, diskriminiert weil sie den Armen und Kranken helfen wollten, wegen ihrer Herkunft, ihrer Familie und ihrer Religion. Wir sind sehr berührt von ihren Erzählungen.

Als wir in derselben Woche zu einer Hochzeit der „Super-Rich-People“ eingeladen wurden, waren wir erschüttert. Die Menschen feierten wie in Amerika, trugen kurze Cocktailkleider, hörten westliche Musik und tanzten im Paartanz. In Gedanken noch im Short Stay Home ist diese Partygesellschaft kaum zu ertragen. Die Gäste wurden uns als Doktoren vorgestellt und erzählen von ihrem neuen BMW und dem bestellten Porsche, ihre Kinder spielten mit iPhones. Die geladenen Gäste studierten in Dubai oder in Amerika. Die Gegensätze zwischen den gesellschaftlichen Klassen hier in Indien sind pervers!
Das Horoskop steht gerade gut, im Moment heiraten viele Menschen, so wurden wir gleich zu zwei hinduistischen Hochzeiten eingeladen!
Freunde von Hilda begleiten uns auf eine Hochzeit von Verwandten. Das Brautpaar saß auf einer aufwendig geschmückten Bühne, Braut und Bräutigam waren wahnsinnig schön gekleidet! Die Zeremonie war sehr eindrucksvoll, auch wenn die zahlreichen Fotographen und Kameramänner die Sicht auf das Brautpaar völlig blockierten. Es waren mehrere hundert Gäste geladen, jeder von ihnen wurde uns als Schwester oder Cousin vorgestellt. In Indien sind alle Menschen Cousins! Selten hatten wir so gutes Essen gegessen, auch wenn das Mahl etwa zehn Minuten dauert, die nächsten Gäste standen schon wartend hinter den Stühlen. Auch auf der Hochzeit einer Sozialarbeiterin von PRAJNA waren wir eingeladen. Das ganze Personal der Organisation besuchte die Hochzeit, obwohl es dabei vordergründig um das Essen und das Foto ging und wir nach einer halben Stunde wieder mit den Frauen zurück fuhren.

In der letzten Woche haben wir an einer Broschüre über das Projekt der Karl-Kübel-Stiftung bei PRAJNA gearbeitet. Das Projekt bietet Programme für Frauen und Kinder in den Dörfern rund um Mangalore an. Es gibt „Child-Right-Clubs“ an Schulen und Kinderparlamente in den Dörfern, an wechselnden Orten werden Gesundheitscamps veranstaltet und es gibt verschiedene Aufklärungsprojekte. In Selbsthilfegruppen können Frauen lernen sich eine eigene ökonomische Grundlage aufzubauen. Sie verwalten ihre Ersparnisse und entscheiden gemeinsam über Ausgaben. Außerdem gibt es kulturelle Programme zur Stärkung des Selbstbewusstseins. Wir besuchten die cultural competitions in zwei unterschiedlichen Dörfern. Es war schön die singenden und tanzenden Frauen aus den Selbsthilfegruppen auf der Bühne stehen zu sehen! Wir haben gemeinsam mit den Frauen Spiele gespielt, getanzt und schließlich selbst standen wir selbst auf der Bühne und haben ein Lied vorgetragen. Wir verbrachten zwei sehr schöne Nachmittage mit den Frauen und bekamen weitere Einblicke in die Arbeit der Selbsthilfegruppen.





Mit den Kindern haben wir an den letzten Sonntagen viel gebastelt und gespielt, außerdem haben wir angefangen mit ihnen zu musizieren. Wir singen Lieder mit der Gitarre und es ist schön zu sehen wie viel Spaß die Mädchen an „The lion sleeps tonight“ , „I am sailing“ oder Liedern von Cat Stevens haben. Am Childrens Day werden wir die einstudierte Lieder mit den Mädchen vortragen, wir sind gespannt ob sie vor großem Publikum genauso laut und entschlossen mitsingen wie an unseren gemeinsamen Sonntagen.




In den letzten Wochen bekamen wir hier einiges zu sehen, hatten schöne aber auch traurige Einblicke. Mit den Frauen hier bei PRAJNA können wir viel diskutieren, wir erfahren einiges über die indische Gesellschaft und die Politik hier. Vor allem über die BJP, die hindunationalistische Partei, welche hier in dem Bundesstaat Karnataka regiert haben wir inzwischen einiges mitbekommen. Die Parallelen zur Ideologie der Nazionalsozialisten ist erschreckend.
Wir erfreuen uns in der letzten Zeit an vielen sehr unterschiedlichen Einblicken in die Kultur, an zahlreichen Veranstaltungen, an politischen Diskussionen, an unserer sehr abwechslungsreichen Arbeit, an Herausforderungen und Erfolgen und an dem traumhaften Strand Mangalores, wenn wir dem aufregenden Geschehen in der NGO und der hektischen Innenstadt einmal für zwei ruhige Stunden entkommen können…

Lea